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Rassismuskritik und Widerstandsformen / Hrsg. Karim Fereidooni und Meral El. – Wiesbaden : Springer VS, 2017. – 943 S.

ISBN: 978-3-658-14720-4

 

Rassismus ist ein globales Phänomen, das nicht vor nationalen Grenzen halt macht. Als historisch spezifische Machtwirkung passt sich Rassismus jedoch lokalen Gegebenheiten an. Die unterschiedlichen nationalen Kontexte des Rassismus schreiben sich in die Funktionsweise von Rassismus – als wandelbares Ordnungsprinzip – jeweils in besonderer Weise ein. Nicht nur das Funktionieren von Rassismus, sondern auch Widerstand gegen ihn gilt es deshalb kontextsensibel zu betrachten, wenn beides im Hinblick auf die Wirkweise angemessen verstanden werden soll. Wiederum dürfen die rassistischen Diskurse und Widerstandsformen in den verschiedenen nationalen Kontexten für ein solches Verstehen nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Denn sie sind miteinander verwoben und stützen bzw. bedingen sich in ihrer Entwicklung gegenseitig.

 

Der von Karim Fereidooni, Juniorprofessor für Didaktik der Sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum, und der Berliner Kultur- und Sozialwissenschaftlerin Meral El herausgegebene Sammelband untersucht diesen komplexen Zusammenhang von Rassismus und Widerstand in nationalen und transnationalen Kontexten. Ziel des 943 Seiten starken Bandes, so die Herausgeber*innen im Vorwort, ist „die Analyse rassistischer Phänomene innerhalb unterschiedlicher Nationalstaaten und die Herausbildung der Interdependenz (inter)nationaler Hegemonie- und Subalternitätsverhältnisse.“ (16) Vergleichend vorgehend wird in 53 Beiträgen sowohl die Gleichförmigkeit von Rassismus in unterschiedlichen nationalen Kontexten als auch seine nationalstaatliche Spezifizität herausgearbeitet (vgl. ebd.). Als Staaten behandelt werden neben Deutschland Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Österreich und Türkei. Bis auf fünf englischsprachige Beiträge sind alle Artikel in deutscher Sprache verfasst. Zu den 64 Autor*innen, die hier aus Platzgründen nicht vollständig aufgelistet werden können, gehören neben den Herausgeber*innen unter anderem die Rassismusforscher*innen Susan Arndt, Iman Attia, Nkechi Madubuko, Savaş Taş, Astrid Messerschmidt, Paul Mecheril, Deborah Gabriel, Jin Haritaworn und Paul Carr. Zu Wort kommen außerdem die Schriftstellerin, Publizistin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo, die Geschäftsführerin des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e. V. (BUG) Vera Egenberger und die Leiterin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW) Anne Broden. Geteilte Prämisse aller Beiträge ist ein Verständnis von Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen, das als strukturelles Herrschafts- und Unterdrückungssystem funktioniert und von den Autor*innen mit Blick auf unterschiedliche Wirkungsbereiche kritisch hinterfragt wird.

 

Der Band gliedert sich in sieben Kapitel, mit denen die Beiträge den Themenbereichen Alltagsrassismus (Kapitel 1), rassistische Gesellschaftsdiskurse (Kapitel 2), (institutioneller) Rassismus in Institutionen (Kapitel 3), Rechtsextremismus (Kapitel 4), Widerstand und Empowerment (Kapitel 5), Kritik der Rassismuskritik (Kapitel 6) und Kritisches Weißsein (Kapitel 7) zugeordnet sind. In einer kurzen Einleitung legen die Herausgeber*innen die thematische Zuordnung der Beiträge dar und geben einen Überblick über die Themenvielfalt des Bandes. Mit seinem breiten Themenspektrum gibt das Buch einen Einblick in eine Bandbreite von Aspekten der aktuell in Deutschland bzw. international geführten wissenschaftlichen Diskussion um Rassismus und Rassismuskritik. Beispielsweise werden neben der in Deutschland auch öffentlich geführten „Kopftuchdebatte“ und „Moscheedebatte“ der Einfluss von Rassismus auf die psychische Gesundheit und rassistische Kontinuitäten in Sprache, Bildungsarbeit und Unterrichtsmaterialien sowie Racial Profiling in Deutschland, der NSU(-Prozess) und der „Fall Sarrazin” thematisiert. Mit Blick auf Frankreich geraten z. B. die radikalen Rechten und staatliche Maßnahmen ihrer Bekämpfung sowie eine „farbenblinde“ Haltung der nationalen Gesetzgebung in den Fokus. Mit Blick auf Großbritannien wird der Einfluss von Rassismus auf den akademischen Diskurs zusammen mit Handlungsmöglichkeiten für Veränderung diskutiert. Damit werden nicht nur unterschiedliche nationale Kontexte angesprochen, sondern es werden auch verschiedene Faktoren, die Rassismus innerhalb der nationalstaatlichen Kontexte bedingen, wie z. B. die Lehrer*innenbildung, die Bildungsinstitution Schule und die Gesetzgebung in Deutschland, sichtbar gemacht. Ein wesentlicher Verdienst des Bandes ist, dass neben unterschiedlichen nationalen Kontexten und Bedingungsfaktoren des Rassismus verschiedene Formen rassistischer Diskriminierung im Fokus stehen, darunter antimuslimischer Rassismus, Rassismus gegen Sinti und Roma und Kolonialrassismus gegen Schwarze Menschen. Die Beschäftigung mit Rassismuserfahrung und Widerstand, die viele Beiträge des Bandes aufgreifen, wird mit einer Auseinandersetzung mit Weißsein als Schwerpunktthema im letzten Kapitel ergänzt.

 

Der Sammelband liefert einen guten Überblick über gegenwärtige Gegenstandsbereiche und Perspektiven der Forschung zu Rassismus in Deutschland und beschreibt beispielhaft Ansätze und Themen der neueren internationalen Rassismusforschung. Mit seiner Methode des transnationalen Vergleichs und der Herausstellung unterschiedlicher rassistischer Phänomene liefert er einen wichtigen Beitrag, um die umfassende und komplexe Funktionsweise von Rassismus besser und kontextsensibel zu verstehen. Der Band hinterfragt die verbreitete, aber problematische verkürzte Sicht auf Rassismus in Deutschland, nach der dieser bloß eine gesellschaftliche Randerscheinung darstellt. Er zeigt, wie Rassismus als gesamtgesellschaftlicher Diskurs auf vielfältige Weise rassistische Ausschlüsse produziert und thematisiert Möglichkeiten, wie ihnen entgegengewirkt werden kann. Damit richtet sich das Buch an eine breite Leser*innenschaft. Es ist sowohl für Studierende, die sich mit Rassismusforschung beschäftigen, als auch für Personen, die in den behandelten Bereichen praktisch tätig sind, empfehlenswert und bietet einen Einstieg für alle Leser*innen, die rassistische Diskriminierung besser verstehen wollen. Aufgrund des aktuell vorherrschenden einseitigen Rassismusverständnisses in Deutschland bleibt es weiterhin eine Aufgabe, Rassismus zu thematisieren und Optionen der Kritik an ihm herauszuarbeiten und aufzuzeigen, um praktischen Widerstand zu fördern. Der Sammelband Rassismuskritik und Widerstandsformen liefert hierfür wichtige Anregungen und Impulse.

 

 

Jule Bönkost